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Allah wartet auf Europa

Von Regina Einig
Artikel aus: Die Tagespost / März 2008 (www.die-tagespost.de)

Der Nationalismus hat auf der iberischen Halbinsel Tradition. Doch die Herausforderer sind nicht nur katalanische und baskische Separatisten. Islamische Lobbys träumen immer lauter von einem neuen Al Andalus. Ihre Toleranz endet im Umgang mit der katholischen Kirche.

Der Nationalismus kennt keinen Tod am Nachmittag, wenigstens nicht auf der iberischen Halbinsel. Zwar sind die ETA-nahen Parteien ANV und PCTV von den Parlamentswahlen am Sonntag ausgeschlossen worden. Als Koalitionspartner wären sie außerhalb des Baskenlandes ohnehin nicht salonfähig gewesen. Doch mit einer Sommerpause der Separatisten rechnet niemand, auch wenn die klatschmohnroten Transparente der seit Jahren verbotenen baskischen Linkspartei ?batasuna? in diesen Tagen in den Kellern bleiben. Im Herbst sollen sie wieder entrollt werden. Dann will der baskische Ministerpräsident Juan Joe Ibarretxe einen neuen Anlauf nehmen, um der spanischen Regierung ein Referendum über die Unabhängigkeit des Baskenlandes abzuringen.

Eine knallharte Abfuhr
Ein verfassungswidriges Unternehmen, wird es dann entnervt aus Madrid grollen. Dort kennt man die Selbstbestimmungsdebatte südlich der Pyrenäen zur Genüge. Dem ?Plan Ibarretxe? ? und damit einem neuen Autonomiestatut für das Baskenland ? erteilte das Parlament schon vor drei Jahren mit 313 Nein-Stimmen gegen 29 Ja-Stimmen eine knallharte Abfuhr. Die Lektion saß: Bis heute haben baskische Regionalpolitiker nicht vergessen, dass sie von der sozialistischen Arbeiterpartei PSOE ebensowenig zu erwarten haben wie von der konservativen Oppositionspartei Partido Popular, wenn Autonomie auf der Tagesordnung steht.
Aber das Recht auf Selbstbestimmung, werden baskische Separatisten hartnäckig kontern und sehnsuchtsvoll nach Barcelona schielen. Katalonien hat es in der Autonomie mittlerweile einen Schritt weiter als das Baskenland gebracht. Nicht von ungefähr, denn immerhin treibt die ETA in Barcelona weniger Unwesen als in Pamplona oder San Sebastián. Das kommt gut an in Madrid. Doch der Traum vom eigenen Staat ist auch für Kataloniens Nationalisten bisher unerreichbar fern. Dafür leuchtet Spaniens separatistischen Politikern neuerdings Morgenrot vom Himmel über Europa entgegen.
Die Unabhängigkeit des Kosovos beschleunigt den Herzschlag vieler Aktivisten auf der iberischen Halbinsel. Mochte Außenminister Miguel Moratinos auch noch so rasch die Reißleine ziehen und mit sorgenvollem Blick auf die Unruheherde in Nord- und Ostspanien versichern, Madrid werde das Kosovo nicht anerkennen, weil Belgrad aus Sicht seiner Regierung internationales Recht übertreten habe. Die Risse im porösen Damm der nationalen Einheit Spaniens sind im Vorfeld der Parlamentswahlen auf einen Schlag wieder sichtbar geworden.
Und gerade die innerspanische Debatte um das Kosovo zeigt, dass die klassische Front der Nationalisten Verstärkung erhalten hat. Pikanterweise von einer Seite, mit der sich die Madrider Regierung weitaus schwerer tut als mit ungebärdigen baskischen und katalonischen Provinzpolitikern: dem radikalen Islam, der Spanien aus der Hand der Ungläubigen befreien will, koste es auch die nationale Einheit. Für Mullahs aus Marokko und Algerien ist das Kosovo zum Silberstreif am Horizont geworden: Ein unabhängiger muslimisch geprägter Staat im Herzen Europas beflügelt die Hoffnungen, dass die Verkünder des Islam in Spanien auf dem alten Kontinent neue Verbündete erhalten.
Auf der iberischen Halbinsel geht es allerdings um mehr als eine Reminiszenz an die mittelalterlichen Kalifate Südspaniens. Die sunnitisch-orthodoxe Bewegung ?Tablighi Jamaat? ist nicht nur in Andalusien anzutreffen. Spaniens Behörden beobachten auch in Madrid, Katalonien, Valencia, Alicante und auf den Balearen radikale Muslime und ziehen den Vergleich zur Strategie der Hamas: Hilfsbedürftigen Glaubensbrüdern wird Unterstützung angeboten. Nichtmuslime erleben die Mitglieder islamistischer Gruppen in der Regel als freundliche Helfer, die sich im Stil einer Nichtregierungsorganisation für eine bessere Gesellschaft einsetzen. Und für einen weltoffenen Islam in einem pluralistischen Spanien. Um der Toleranz zwischen den Religionen willen gilt es also, den Einfluss der katholischen Kirche zurückzudrängen. In diesem Punkt kommen radikale Muslime sogar auf einen gemeinsamen Nenner mit den Linksparteien. In deren Reihen sitzen zwar Katholiken. Doch viele scheuen den Vergleich zwischen einem Bischof und einem Ayatollah nicht mehr, so die katholische Sozialistin Gotzone Mora.

Anarchie statt Toleranz
Der weltoffene Islam steht bei Spaniens islamistischen Gruppen auf der Visitenkarte. Wie dieser aussehen soll, bleibt für Außenstehende allerdings eher diffus. Denn nach den Anschlägen vom 11. März räumten die islamischen Verbände FEERI (Spanischer Verband der Islamischen Religiösen Gesellschaften) und UCIDE (Verband der Islamischen Gemeinschaften in Spanien) ein, dass sie keinen genauen Überblick über das Geschehen in den schätzungsweise 400 Moscheen im Land besäßen. Schuld an der Radikalisierung des Islam waren jeweils die anderen: Beide Verbände beschuldigten sich, Nährboden für radikale Ideologien geworden zu sein. Deutlicher wurde Mustafa El Mrabet, Präsident des Verbandes der Maghrebinischen Arbeiter und Einwanderer (ATIME). Die Muslime in Spanien sollten schleunigst die religiöse Praxis in den Griff kriegen. Dort herrsche nämlich Anarchie statt Toleranz.
Doch aus dem Toleranzgebot westlicher Gesellschaften verstehen Spaniens Muslime es, Lob für den Islam in Europa mit offenem oder verstecktem Tadel am Christentum nach meist gleichem Muster zu verflechten. Das Online-Portal www.webislam.com würdigt etwa die Freiheit europäischer Muslime, Koransuren als Handyklingeltöne herunterladen zu können. In Saudiarabien wäre das strikt verboten. Einer der Betreiber dankte dem Abt des Benediktinerklosters Montserrat in einem offenen Brief dafür, dass er sich von der jüngsten Erklärung der Spanischen Bischofskonferenz anlässlich der Parlamentswahlen distanziert habe. Ohne Parteien zu nennen, hatten die Bischöfe die Gläubigen daran erinnert, die Haltung der Kandidaten in den Fragen Lebensschutz, Ehe und Familie zu berücksichtigen. Viele Gläubige seien verletzt darüber, dass die Bischofskonferenz die Empfindlichkeiten im Schoß der Kirche nicht berücksichtigt habe, lamentiert der Briefschreiber und schließt mit der Aufforderung, die katholische Kirche in Spanien möge auf jede Art von Sonderstellung verzichten?. Es gebe ein Christentum, in dem Muslime eine Schwesterreligion sehen könnten.
Auf den Pluralismus kommt es also an. Geprobt wird auf dem Moscheebauplatz. Katalonien hat den Anfang gemacht. Das Parlament verhandelt über ein Gesetz über die Gleichstellung von katholischen Kirchen und Moscheen. Der Entwurf sieht vor, die Kriterien für die Vergabe von Baugenehmigungen an beide Religionen zu vereinheitlichen. Glaubt man der katalanischen Regierung, ist das angesichts der üblichen Proteste in der Bevölkerung gegen Moscheebauten der einzige Weg zu wahrer Laizität.
Und Andalusien wird aller Wahrscheinlichkeit nachziehen. In Sevilla soll in der kommenden Woche die Entscheidung über den Standort der größten Moschee Europas fallen. Auf gut sechstausend Quadratmetern soll ein islamisches Zentrum mit Bibliothek und Versammlungsräumen entstehen. Und einem Minarett, dass ebenso hoch werden soll wie die "Giralda", der Turm der Kathedrale. Der erste Versuch, die Moschee im Stadtteil Los Bermejales zu errichten, scheiterte Anfang 2007, nachdem eine Bürgerinitiative vor Gericht einen Baustopp erwirkt hatte. Nicht nur, weil Los Bermejales einen niedrigen Anteil Muslime aufweist, sondern weil Gerüchte, die Moschee werde vom Emir von Sharjah und Al Quaida finanziell unterstützt, nicht verstummten. Auch der sozialistische Bürgermeister ruderte schließlich zurück und distanzierte sich von dem Projekt.
Das europäische Herz des Islam soll eines Tages wieder in Spanien schlagen ? dort wo der muslimische Glaube im Mittelalter verwurzelt war, ehe christliche Könige das Territorium zurückeroberten. Nach dem Willen der muslimischen Lobby wäre ein neues Al Andalus jedoch mehr als ein Brückenkopf des Islam in Europa. Es soll zugleich die Radikalisierung des Islam in Nordafrika fördern. Zu dieser Erkenntnis musste man sich in Spanien erst mühsam durchringen. Als Al-Kaida 2001 erstmals offen Anspruch auf Al Andalus anmeldete, wusste die spanische Öffentlichkeit mit dieser Erklärung nichts Rechtes anzufangen. Die Terroranschläge auf Madrider Vorortzüge lagen noch in weiter Ferne. Erst nach dem 11. März 2004 gingen die Behörden in die Offensive. Quasi über Nacht tauchten alarmierende Berichte auf: Über die algerische "Salafistische Gruppe für Predigt und Kampf", beispielsweise, nach eigenem Bekunden Vasallen Osama Bin Ladens, deren Nummer zwei, Ayman Zawahiri, über das Schicksal der südspanischen Enklaven Ceuta und Melilla orakelt hatte. Und den Vergleich mit Tschetschenien nicht scheute, denn Rückeroberung und Blutvergießen sind für die Salafisten kein Widerspruch.

Genozid an Muslimen?
Was auf den ersten Blick oft als harmloser Multi-Kulti-Treff unter dem Dach des lokalen Muslimenvereins erscheint, bereitet den Behörden mittlerweile Bauchschmerzen. Auffallend ist der aggressive Duktus muslimischer Gruppen. Das Internetforum www.islamparatodos.com (Islam für alle) erhebt den Vorwurf, das "spanische Volk habe seine Geschichte und seine Wurzeln vergessen". Al Andalus sei die Geschichte eines Genozids der Christen an Muslimen und spanische Muslime sollten die Toten der christlichen Verfolgung in Andalusien nicht vergessen.
Die in Marokko illegale Gruppe "Gerechtigkeit und Spiritualität" (Justicia y Espiritualidad), die den Sturz des marokkanischen Königs Mohammad IV. und die Gründung des Islamistischen Staats Marokko anstrebt, schult ihre Imame mittlerweile auch in Murcia. Wirklich ernst wurde es, als im vergangenen Jahr ein Imam nach Murcia reiste, gegen den in Marrokko mehrere Gerichtsverfahren anhängig waren ? und die Veranstalter über die Medien mitteilten, die Behörden sollten sich nicht so haben ? Spanien habe kein Problem mit dem radikalen Islam, sondern mit der eigenen Islamfeindlichkeit.
Die neuen Gegner der nationalen Einheit Spaniens sind anders gestrickt als die traditionellen: Ihre Geldgeber sitzen in Marokko und den Vereinigten Arabischen Emiraten und verfügen über Finanzquellen, von denen baskische Kommunalpolitiker nicht einmal träumen können. Gezielt setzen sie auf die allgemeine Unkenntnis der Geschichte und auf Konvertiten. Das Gesicht des spanischen Islam gehört nicht den Mullahs. Es sind junge Spanier in Jeans und Lederjacke aus den Reihen des Islamrats wie Juan González Bedoya und der ehemalige katalanische Zisterzienser Audalla Conget oder auch der ehemalige Kommunist Mansur Escudero, die in den Medien von der ?Befreiung? Spaniens zur wahren Multi-Kulti-Gesellschaft träumen. Abdennur Prado, Jahrgang 1967, Präsident des Katalanischen Islamrats und Autor mehrerer Bücher über den Islam, durfte am Donnerstag in der führenden spanischen Tageszeitung "El País" in Feindbildern schwelgen. Staatliche Zuschüsse für die katholische Kirche seien diskriminierend für den Islam und fremdenfeindlich. "Denn mit den Geldern des Staates unterhält die katholische Kirche Medien, die den Islam ununterbrochen diffamieren und muslimische Einwanderer evangelisieren wollen".
Genaueres war nicht zu erfahren. Journalisten sind keine Spielverderber. In der Regel hat der Konvertit kein Problem, wenn er die katholische Kirche direkt angreift und sich Schwärmereien über die Vergangenheit Spaniens hingibt. Die Mehrzahl der Medien hat kein Problem mit Geschichtsklitterei. Auch historisch bewanderte Interviewer verkneifen sich den Hinweis darauf, dass das Zusammenleben von Muslimen, Juden, und Christen in den Dreikulturenhochburgen Crdoba oder Toledo alles andere als reibungslos war. Also kein Wort von den jugendlichen christlichen Märtyrern des Kalifenreichs wie Pelayo, dessen Reliquien noch heute in der Abteikirche der Benediktinerinnen in Oviedo verehrt werden. Erst recht nicht, da politisch noch viel unkorrekter, von der Geschichte des berühmten jüdischen Philosophen Maimonides (1138-1204), der 1148 mit seiner Familie vor der Verfolgung durch die islamischen puritanischen Almohaden aus Córdoba fliehen musste. Dafür können Cordobeser Stadtführer von einer wachsenden Zahl saudiarabischer Touristen berichten. Ihr Ziel ist nicht das romantische Judenviertel, sondern die prachtvolle Mezquita, heute Kathedrale und Sitz eines Erzbischofs. Und die unangefochtene Nummer eins der Kulturgüter, die Muslimen nach der Befreiung Spaniens von den Ungläubigen wieder gehören sollen. Das neue Al Andalus braucht keine Kathedrale mehr.
Muslimisch geprägten Nationalisten haftet in den Augen ihrer Landsleute nicht zwangsläufig das Stigma igittigitt an. Anders als katalanische oder baskische Separatisten sind sie kein reines Provinzphänomen, über das jeder normal tickende Spanier nur befremdet den Kopf schüttelt. "Jedes Land hat eben seine Probleme, bei uns sind es die Katalanen und die Basken" ist einer der typischen Sprüche von Kastiliern oder Aragonesen über die Separatisten. Über Islamisten schweigt man besser. Das traditionelle Auswandererland Spanien hat den Bewusstseinswandel zum Einwanderungsland vollzogen. Und was könnte im öffentlichen Leben eines guten europäischen Staates schädlicher sein, als der Vorwurf der Fremdenfeindlichkeit?



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